Der schönste Arsch der Welt

In einer zwei Tagestour sind wir von El Calafate nach El Chaltén gefahren – 225km. Der erste Tag durch die Pampa war noch weitestgehend entspannt, wenn auch sehr lange. Wir kamen abends um 21 Uhr an einem Shelter von unserem Lieblingsverein AGVP an. Wie gewohnt mit Wlan und Strom mitten im Nirgendwo, frei zugänglich für jeden. Wir schliefen bis um 6 Uhr und fuhren 20 Minuten später ab. 90km waren übrig, nicht viel, aber der Wind bläst uns schon ab 8 Uhr entgegen und hört erst Tage später auf. Irgendwie schaffen wir die 90km nach 14 Stunden Fahrrad fahren noch am selben Tag mit einer grandiosen 6.5 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit. Irgendwie hat uns dieses Granitwunder um Fitz Roy, Poincenot und Cerro Torre am Radeln gehalten (die konnte man schon etwa 200km im Voraus sehen), denn die meiste Zeit war es weniger Radfahren, und mehr der Versuch nicht umzufallen, weil der Wind einen einfach umbläst oder in den Gegenverkehr drückt. Wir haben schon von mehreren Fahrradfahrern gehört, die einfach aufgehört haben und den Wind abgewartet haben. Wir haben natürlich durchgehalten, auch wenn sich Anne ein paar Fluchende Wörter gegen Mr. Wind nicht verkneifen konnte. Das hat die Antarktische Circumpolar Current (ACC) natürlich nicht davon abgehalten stets von Westen nach Osten durch die Drakestraße riesige Massen Wasser zu transportieren. Die wiederrum den südlichen Jetstream befeuern und einen konstanten mindestens 50km/h starken Wind mit sich bringt.

Na ja, das Ziel ist es auf jeden Fall Wert, diese Strapazen auf sich zu nehmen.  

El Chaltén ist als Militärbasis in den 80er gegründet worden. Hier begann der Grenzstreit zwischen Argentinien und Chile, der bis heute andauert. Die Grenze ist noch nicht definiert (seht ihr auch auf Google Maps) und El Chaltén war der Versuch Argentiniens Fakten zu schaffen und sich Fläche zu sichern und eine Art Grenzmarkierung aufzubauen. Um Menschen in diese harsche Umgebung zu locken (wo Orkane und eiskalte Temperaturen zur Tagesordnung gehören), musste der Staat hohen Sold und eine gute Rente versprechen. Eine Praxis, die der argentinische Staat wohl ein Wenig zu oft gemacht hat. Die Inflation ist bekanntlich in den letzten 22 Jahren um 40 000 Prozent gestiegen. 2008 wurde dann aus der Schotter- eine Asphaltstraße und wie Annes Professor einst sagte “wo ein Weg ist, ist auch Verkehr”, hat sich El Chalten schnell zum Paradies für Trekking, Bergsteigen und Co. entwickelt. El Chaltén ist nun ein Touristenwunder, mit veganen Restaurants, Kletter- und Yogarefugios und Sauerbrotbäckerein  und einer Ranch mit Schnitzeln größer als jeder Teller.

Zurecht. Der Parque Glacier Nacional ist voller Wunder. Ich erinnere mich nur, als wir den Circuit Huemueles gelaufen sind und über die riesige Gletscher am einem Ende des Tales blicken konnten, von den riesige Massen türkisfarbenes Schmelzwasser ins Tal flossen durch dicht bewachsenden Regenwald. Der nächste Pass führt direkt in das patagonische Eisfeld, wo der Kalbungprozess am Schmelzrand Tunnel und Brücken aus Eis bilden. 

El Chaltén ist bekanntlich das Kletter- Alpinismusepizentrum Argentiniens, oder sogar Südamerikas. Die Kletterjugend aus dem 1.500 Seelen Dorf ist argentinischer Meister, Klettern ist ein Hauptfach in der Schule. Wir trafen zum Beispiel zwei Japaner, die an ihrem ersten Tag direkt den Hauptturm Fitz Roy begangen haben. Eine fünf Tagestour. Zwei Tage Anstieg, einen halben Tag klettern, einen halben Tag abseilen (25 Stunden an der Wand sein) und zwei Tage zurückwandern. Das Wetter in El Chaltén ändert sich manchmal stündlich – alle Jahreszeiten innerhalb von 10 Minuten. Oben auf den Gipfeln manchmal noch viel schneller und der Gipfel produziert auch direkt Wolken, was schlechte Sichverhältnisse vor allem bei Nacht vorprogrammiert. Uns wurde mal gesagt, dass bei jedem guten Wetterfenster zwei Menschen sterben. Einen hinterbliebenen Kletterpartner treffen wir später noch. Sein Kletterpartner starb eine Woche zuvor an einem Steinschlag am Cerro Torre.

Nichtdestotrotz zieht der Fitz Roy uns ebenso in den Bann, wie die zahlreichen bekannten und unbekannten Kletterer. Die Japaner versuchen noch ein paar Tage später eine Erstbegehung an der Nordflanke des Bergmassivs. Das Risiko ist Teil des Reizes. Und das Warten auf gute Wetterfenster gehört in El Chalten ebenso dazu. 

Wir werden auch ohne lebensgefährliche Klettertour auf dem Circuit Huemul ordentlich durchgerüttelt. 120km/h Wind erwartet uns auf der zweiten Tagestour des Circuits. Entgegen der Warnung einiger Ranger begeben wir uns auf das steilste Stück der Wanderung mit einem Wind der sogar unseren Reisepartner aus Israel überschlagen lässt.

Wir mussten uns regelmäßig in die Hocke setzen, um nicht vom Pass geblasen zu werden. Hinzu kam, dass Anne Tage zuvor eine Lebensmittelvergiftung (vermutlich von einer vergammelten Tomate) erlitt und noch die meisten Nahrungsmittel abstieß, die sie zu sich nahm.

Geschafft haben wir es trotzdem.

Natürlich kam das Klettern in El Chaltén nicht zu kurz. Die Südamerikaner und ein paar Russen schwärmen: einige der besten Boulder Südamerikas und sie sind eindeutig erste Klasse! Wir treffen eine Gruppe, die uns enthusiastisch empfängt. Aber was erzähle ich, zum Klettern gab es immer offene Leute zu finden, zum Beispiel die Russin, die nach Buenos Aires ausgewandert ist und Wandmalereien in Restaurants von El Chaltén malt. Oder zum Beispiel die Chilenen Pepa, Marianne und Juan, die uns mit Freude zum Klettern eingeladen habe und wir uns für Bariloche oder Cajon de Maipu verabredet haben. Crash Pads kann man sich zwar ausleihen, aber zum Glück war es nie notwendig.

Ein paar Zwischenfälle, die sonst noch erwähnenswert sind:

  • Court hearing am Valentinstag. Unser Anwalt hinterfragt das norwegische Rechtssystem. Zivilen Ungehorsam sieht er als demokratisches Ventil an, dass milder bestraft werden muss. Er zitiert zudem Antonio Guterres, unseren Lieblingsaktivisten aus der UN. Die Welt erfahre eine Katastrophe biblischen Ausmaßes mit der Überschwemmung vieler Küstenstädte und ganzer Staaten. Es seien 1 Milliarde Menschen gefährdet. (Die letzte Rede des Generalsekretärs)
  • Eine Ratte frisst sich durch unser Equipment, gleich doppelt. Ich habe sie, da sie nicht gehen wollte mit einer Flasche erschlagen :/
  • Annes Kletterhelm wurde vermeintlich gestohlen. Dazu ging leider auch der Schildkrötenhut, der von Ella geschenkt wurde.
  • Mein Bewerbungsgespräch mit Harri aus Aalto war sehr erfolgreich. Ich werde in Aalto, Finnland, promovieren! 
  • Erster Multipitch mit Anne
  • Anne steigt eine 6b+ (fast) durch
  • Das Boulderprojekt, die Traverse, wird auf spätere verlegt, sowie die Besteigung des Fitz Roys.

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